Neunter Rundbrief, in dem beschrieben wird, wie wir nach Kibisem eingeladen werden, wie eine Frau ihren Mann steht und dass UNEP unser Projekt als förderwürdig erachtet.

Die Straße gleicht mit ihrer welligen Oberfläche, den Schlaglöchern und den ausgefransten Seiten einem wenige Meter breiten und mehrere Kilometer langen Lavastrom. Wir holpern mit einem klappernden Geländewagen über die wenige Meter parallel zur „Straße“ verlaufenden Piste – die eigentliche Straße ist schon seit Jahren nicht mehr befahrbar.
Ich frage mich, wie viele Bauunternehmer sich wohl wieder einen Fernseher zugelegt haben und wie viel der eingesparte Unterbau wohl wert gewesen sein mochte. Die ersten und die letzten Meter wurden noch mit Unterbau ausgeführt – die 30 bis 40 Kilometer dazwischen jedoch offensichtlich nur mit Spritzguss angefertigt.

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Diesmal endet unsere Fahrt in Kibisem, einem kleinen Dorf im Nandi District am Fusse des Escarpments. Auf der Fahrt erwies Llonah sich als redefreudige Lehrmeisterin, die mir erklärte, wie wichtig es ist, die lokale Bevölkerung in die Entwicklung und Planung mit einzubeziehen: „Wir gründeten vor einigen Jahren eine Wasserquelle für eine Gruppe von Farmern, die sich nicht aktiv am Bauvorgang beteiligten. Bereits nach kurzer Zeit erschienen ohne die notwendige Instandhaltung die ersten Risse m Beton und der Wasserstrom verringerte sich. Das war nicht etwa Anlass, sich um die Quelle zu kümmern – nein, die Farmer kamen zu uns, zeigten uns die kaputte Mauer und fragten: ‚Wo sind die Handwerker, die diese Quelle geschützt haben? Sie sollen kommen und die Mauer abdichten’. – keine Identifikation mit dem Projekt, keine Eigeninitiative – in ihren Augen war das ‚unser’ Projekt und damit unsere Zuständigkeit.

Wenn die Leute aber selbst mit anpacken müssen, selbst Materialien und Arbeit beisteuern müssen, dann wird es zu ‚ihrem’ Projekt, dann liegt ihnen etwas an ihrer Investition und sie kümmern sich mit der notwendigen Eigeninitiative.“ – Das war zugleich der Sinn unserer Fahrt und unseres Treffens mit der „local community“: zu sehen, ob die Menschen in Kibisem bereit sind, die Arbeit an der Quelle zu unterstützen…

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Bereits eine halbe Stunde zu spät trafen wir ein und machten uns auf die Suche nach den Anwohnern. Nur ein Teil der community war anwesend – ein paar Männer – die Frauen mussten sich noch um das Essen für die gerade aus der Schule heimgekehrten Kinder kümmern. Einer der Farmer lädt uns auf einen Chai (Tee) in seinen Haus ein („es ist nicht weit“). Sein Haus liegt direkt am Fuße des Berges, an dessen Hang die Quelle sprudelt – 150 bis 200 Höhenmeter über dem Dorf. Auf reines Wasser bedacht wird es direkt von der Quelle geholt. Und wenn es Streit mit der Dorfgemeinschaft gibt, die näher an der Quelle wohnt, wird das Wasser von der nächsten Quelle geholt – mit fünf bis zehn Kilometern Fußweg.

Der Chai besteht aus einer großen Portion Ugali (Maispolenta), Sukuma (Gemüse) und einem geschlachteten Hühnchen. Natürlich gibt es auch Tee – davor, dabei und danach… Die Nandi verstehen es, ihre Besucher mit Gastfreundschaft umzubringen!

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Sie bewegt sich kaum – langsam dreht sie ihren Kopf. Der Körper wird von ast unmerklichen Schwingungen erfasst. Dann macht sie sich zögernd auf den Weg. Ich wende mich von der Gottesanbeterin ab und wieder dem Meeting zu. Ein kleiner Tisch und viele Stühle bieten den Würdigen Platz für den Vorsitz – der Rest der Dorfgemeinschaft hat es sich im Schatten eines Baumes bequem gemacht. Ich zähle 100 bis 120 Personen, die da auf dem Boden sitzen.

Das Treffen wird durch den stellvertretenden Chief eröffnet – einen jungen hageren Mann in Tarnfarbenjacke mit schwarzem Barett und „Holzprügel“ an dem Gürtel – einem Überbleibsel der alten Kultur, in der ein Mann ohne Waffe in der Öffentlichkeit nicht als Mann galt. Den Anschluss bildet die kurze Vorstellung der Dorfvorsteher – leider nur in Kinandi.

Erst jetzt fallen mir die Frauen auf – etwa dreißig an der Zahl, abseits unter einem großen Busch sitzend (der Kultur der Nandi und dem Prinzip „to be seen but not to be heared“ folgend).

Der stellvertretende Dorfvorsteher erklärt, wie der Preis für eine Quellenfassung zustande kommt. Die Frage, um die es bei diesem Treffen eigentlich gehen soll (wie viel jeder Haushalt zu der Quellfassung beisteuern wird), wird erst später erörtert. Da auch er seine Ansprache in Kiswahili hält (ich verstehe nur das häufig eingestreute „Jehova“, mit dem die einzelnen Aussagen unterstrichen werden) werden mir wichtige Partien des Vortrags ins Englische übersetzt. Im Anschluss spricht Llonah in ihrer Funktion als „Regional Development Coordinator“ über die Notwendigkeit von sauberem Wasser.

“Warum fangen wir nicht gleich morgen an – mit der Finanzierung und mit dem Bau?“ unterbricht fragt einer der Farmer und gibt den Holzstab und damit das Rederecht an den nächsten Farmer weiter und setzt sich von lautem Klatschen begleitet wieder in den Schatten: „Es geht doch um unsere Zukunft und unsere Kinder!“

Es wird geklatscht, gelacht, gescherzt – und dann wieder todernst diskutiert. Wichtige Erklärungen werden mit langgezogenen Silben und weit ausholenden Gesten unterlegt. Als man gerade dabei ist, sich auf 50/= Beitrag pro Haushalt zu einigen (zu mehr können sich die Männer nicht durchringen, auch wenn es das Projekt beschleunigen würde) erhebt sich eine der Frauen: „Wenn Ihr Euch auf 50/= einigt, dann trennen wir uns von unseren Männern und steuern 100/= bei! Wir sind es, die am meisten leiden! Wir, die Frauen sind es, die das Wasser holen müssen! Wenn Ihr es nicht tut, dann sorgen wir Frauen für den Rest!“ Sie setzt sich wieder unter den Busch und zwei Frauen unterbrechen mit ihrem gurgelnden Lachen das betretene Schweigen. Nur langsam kommt die Diskussion wieder zustande.

“Überall in der sogenannten dritten Welt sind es die Frauen, die die Dinge verändern. Will man etwas bewirken, muss man zu den Frauen gehen, sagen die Entwicklungshelfer, die schon in einem halben Dutzend Länder gearbeitet haben“ schreibt Doris Lessing in „African Laughter“. Und die Frauen bewirken etwas – man einigt sich auf 100/= je Haushalt (das monatliche Einkommen liegt bei 800/= bis 1000/=). Fünf Familien werden es wahrscheinlich schwer haben, aber die restlichen Farmer können das Geld aufbringen.

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Während der aus Isiolo stammende „Public Health Technician“ über einen Vortrag über Probleme wie das Vieh an der Wasserquelle, Krankheiten und Erosionen spricht, steht ein älterer Mann auf. Der „Mzee“ trägt graue zerschlissene Kleidung, einen ausgefransten Strohhut und keine Schuhe. Er geht zum Dorfvorsteher, greift in die Tasche und macht die erste Anzahlung. „Das Wasser soll so schnell wie möglich kommen“ flüstert mit Llonah ins Ohr. „Er hat schon lange genug gewartet.“

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Im Anschluss gibt es noch einen weiteren Beitrag zum Thema Malaria und Malariaprophylaxe. Ein Zuhörer meldet sich zu Wort: „es gibt doch gar keinen Strom hier für Ventilatoren – und ein Bett, über dem ich ein Netz aufhängen soll, habe ich auch nicht!“ Das Ende des Vortrags wird höflich abgewartet – aufmerksam, aber mit dem Wissen, dass ein Moskitonetz mehr als 300/= kostet – und damit für die bis zu 12 Kopf großen Familien ein unfinanzierbarer Traum bleiben wird.

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An eine Heimkehr war jedoch noch nicht zu denken – drei Tassen Chai und zwei Chapati waren das zu bewältigende Minimum, bevor wir wieder entlassen wurden. Während des Essens im Hoteli erläuterte Llonah mir ihre Erzählstrategie: In der modernen Kultur der Nandi muss ein Bräutigam mindestens drei Wagen stellen, um die Braut und die singenden Kinder abzuholen. Da sich jedoch kein Haushalt drei Autos leisten kann, leiht man sich den Rest zusammen – notfalls auch bei der Familie der Braut. Llonah fragte die Farmer, ob sie so lange warten wollen, bis „ihre Braut“ vom Berg steigt, oder ob sie mit anfassen und „einen Wagen schicken“ wollen. Das laute Klatschen und die beigesteuerten 17.500/= (von ca. 30.000 bis 40.000/=) gaben ihr recht…

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Unser Antrag an UNEP wurde in Teilen akzeptiert und so erhält das CITC in naher Zukunft 2.750 U$D für die exemplarische Fassung von zwei Quellen, sowie für die Entwicklung einer kleinen Informationsbroschüre, die sich mit der Notwendigkeit, der Konstruktion und der Instandhaltung von Wasserquellgründungen befassen soll. Damit wurde zwar unser erster Antrag auf die Finanzierung von 10 bis 16 Projekten abgelehnt, aber die Öffentlichkeitsarbeit erheblich unterstützt.

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