Vierzehnter Rundbrief, in dem ich ein wenig über den Anderen Dienst im Ausland philosophiere, über Abenteuerlust und das Ausbrechen sinniere und erfahre, warum in letzter Zeit so viele Leute aus dem Wasserwerk das CITC mit Eimern in der Hand besuchen.

„Der Mensch der anderen lernte, in Gemenschaft zu leben. Tausend Hände vereinten sich, um die Erde zu verwandeln. Und die gemeinsame Arbeit auf dem Feld verwandelte sich in Tanz und Musik.“ (Nicolas Matayoshi, Peruanischer Dichter)

Ich bemerke, wie ich mich zunehmend scheue, das Wort „entwickelt“ zu benutzen und mich immer öfter frage, unter welchen Kriterien „Entwicklung“ zu betrachten ist… – Der Mensch der anderen kam als Entwicklungshelfer, entwickelte sich und kehrte als Entwicklungshelfer wieder heim.

(…)

„Statt Kinder zu hüten übersetzt er jetzt technische Gebrauchsanweisungen vom Deutschen ins Englische, statt alte Menschen zu pflegen gräbt er mit Einheimischen nach Wasserquellen. Alles im Auftrag eines internationalen Hilfsprojektes (…). Letzte Woche hatte es einen Blitzschlag gegeben, der die Telefonleitung stilllegte und die Verbindung zur Außenwelt abschnitt.“ (Markus Pönitz, „Entwicklungshilfe oder Abenteuerurlaub – was junge Menschen an der dritten Welt interessiert“)

(…)

Was also interessiert einen jungen Menschen an der dritten Welt, dass er sich entschließt, einen sogenannten „Anderen Dienst im Ausland“ anzutreten – bedeutet es doch den freiwilligen Verzicht auf sämtliche Vorteile, die ihm Wehr- und Zivildienst im eigenen Land bieten würden. Der ADiA ist ein Dienst, der unendgeldlich geleistet wird, zwei Monate länger dauert als der Zivildienst, erfordert eine eigenverantwortliche Vorbereitung ohne Hilfe seitens des Staates und bedeutet, dass das eigene System für eine bestimmte Zeit verlassen wird – für einen Zeitraum, nach dem eine Wiedereingliederung schon ein paar Probleme bereiten kann…

(…)

In den vergangenen Monaten haben sich so auch einige Ansichten und Einstellungen wandeln müssen. Während ich noch in Deutschland einen recht naiven Ansatz („ich will den armen Menschen da unten helfen“) als Ziel meines ADiAs benannt habe, kann ich mir inzwischen eingestehen, dass eine gehörige Portion Abenteuerlust bei der Geschichte nicht fehlen darf. Ohne das Interesse an fremden Ländern, Kulturen und Menschen und ohne die Bereitwilligkeit, auch einmal Risiken einzugehen, wäre dieser Auslandsdienst nicht möglich gewesen. Nie zuvor war mir so klar, wie sehr das Lernen diese Form der Offenheit und Toleranz erfordert – wie wichtig es sein kann, seine eigenen Maßstäbe auch einmal in den Schatten zu stellen und andere Werte zu akzeptieren.

(…)

Ist der Mensch jedoch tatsächlich in der Lage, sich an alles zu gewöhnen, bedeutet dies auch, dass ein „Ausbrechen“ aus dem gewohnten Leben immer nur für eine begrenzte Zeit exotisch und faszinierend sein wird… Warum bricht ein Mensch also aus? Ist es nicht meist der Ausbruch aus einer verdammten Alltäglichkeit? Wird sich das „Gewöhnungstier Mensch“ nicht innerhalb kürzester Zeit an seine neue Umgebung, seine neue Arbeit und seine neuen Freunde gewöhnen? Gibt es Wege zur sanften Umorientierung und Sensibilisierung, die dieses Ausbrechen gar nicht erst nötig machen?

(…)

„Mit dem Leben in Kenia ist der zukünftige Architekturstudent sehr zufrieden. ‚Ich mache hier nicht Entwicklungshilfe für die Menschen, sondern für mich’, analysiert er seinen Aufenthalt. Auch er entwickle sich, lerne eine andere Sicht von Deutschland und eine ungeahnte Gelassenheit: ‚hier läuft alles ein wenig langsamer’.“ (Markus Pönitz, „Entwicklungshilfe oder Abenteuerurlaub – was junge Menschen an der dritten Welt interessiert“)

(…)

„Wenn Du kommst, so komme nicht mit ‚ich weiß’ (was Du brauchst), ‚ich habe’ (was Dir fehlt) und ‚ich will’ (Dir helfen), sondern komme einfach mit ‚ich bin’! Sei offen für Neues, bereit zum Aufnehmen und Eintauchen – aber bleibe Dir stets Deiner eigenen Identität bewusst, sei offen und lerne!“ (Tagebucheintrag vom 07.03.1995)

(…)

Stromausfall – Phill wird 15 Schilling sparen müssen, sich in sieben Tagen eine Zeitung besorgen und nachlesen müssen, ob der Ball seines Lieblingsteams noch ins Netz gegangen ist, Julian sollte sich in Zukunft merken, wo er seinen Kocher mit dem Reis hinstellt und ich sollte nicht immer meine verdammten Streichhölzer verlegen…

(…)

Die Wasserwerke haben die letzten Stromrechnungen nicht bezahlt, so dass ihnen der Strom (und Kapsabet damit das Wasser) abgedreht wurde. Doch dafür hat die Regenzeit eingesetzt und überschüttet uns in tropischer Manier mit dem kostbaren Nass. In so einer Situation hilft dem CITC ein Frischwassertank mit knapp 20.000 Liter Fassungsvermögen, sowie zahlreiche Regenwassertanks, aus denen selbst der District Commissioner Wasser geschöpft hat (weil seine Leute die Wasserrechnung nicht bezahlt haben).

(…)