Siebzehnter Rundbrief, in dem Touristen ihre Jagdinstikte ausleben dürfen, Kenianer ihnen die Koffer tragen und dafür nicht mehr geschlagen werden und in dem es nicht schlimm ist, wenn man mal „Nein“ sagt.

„Versuch es bei Schalter 15“ – „Das ist nicht hier – geh’ zu Nummer sieben “ – „Schalter 17“ – „12“ – „5“ – Ich komme mir vor wie Asterix auf der Suche nach Passierschein A38, mache mir aber vor jedem Schalter des Nyayohauses wieder bewusst, dass ich lediglich nach einem Beamten suche, der mir bei der Umschreibung meines internationalen Führerscheins auf einen Kenianischen helfen kann … „2“ – „13“ – „Und wo ist das gelbe Formular?“ – langsam beginnt mein Kragen zu qualmen…

Im Gewimmel der Schalter wird mir wieder einmal vor Augen geführt, wie Kenia vom Imperialismus überrannt wurde, wie den Menschen hier eine andere Kultur und ein fremdes System aufgezwungen wurden – nicht etwa, weil beide überlegener gewesen wären, sondern weil ihre Diener rücksichts- und skrupelloser waren… In einer nahezu kindgleichen Abhängigkeit gehalten, war den Einheimischen das Erwachsenwerden strengstens untersagt – der Kolonialismus als großangelegter Kindergarten…

Aber auch die Entlassung in die Unabhängigkeit vermochte daran nichts zu ändern: nun sollte auf einmal „Staat“ nach europäischem Vorbild gespielt werden, ohne jedoch die Regeln richtig verstanden zu haben (aber wer kann das heute schon noch?).

(…)

Als ich mich in kenianischer Manier bei Schalter acht so weit durch die Masse geschoben habe, dass ich den Beamten sehen kann, erhebt er sich und verlässt die kleine Kabine – „amekwenda cwa chai“ – er ist zum Teetrinken gegangen… für zehn Minuten – die Macht voll und ganz auskostend, die er mit seiner Position erhalten hat.

(…)

Zwar wurde das Großkaliber inzwischen durch ein Teleobjektiv (mit zum Teil größerer Reichweite) ersetzt und typische Krankheiten werden mit Prophylaxe und immer neuen Medikamenten behandelt, aber die Rolle des Schwarzen im Safarigeschäft hat sich seit der Zeit von Karen Blixen kaum gewandelt…

(…)

Der „Mzungu“ (Weißer) ist in Kenia noch immer der Herr, wenn er sich auf die Reise begibt, die Einheimischen sind noch immer Untertan – sei es als Führer, Koch oder Träger. Der einzige Unterschied besteht meiner Ansicht nach darin, dass den faulen Kenianern nicht mehr mit Strafen gedroht, sondern nur ein bescheideneres Trinkgeld zugesteckt wird.

(…)

Da gehst Du die Straße entlang und die Kinder kommen laut „Mzungu! Mzungu! How are you?“ schreiend angelaufen. Was in den ersten Tagen noch exotisch-lustig ist, wird bald zu einem nervenaufreibenden Spiel, das allerorts in Kenia gespielt wird. Mit der Zeit komme ich mir wie ein Stehaufmännchen vor, wenn ich auf die Frage eines Kindes mit „I am fine“ antworte und dann sofort einen Rattenschwanz von 25 Kindern hinter mir herziehe, die alle „How are you?“ rufen…

(…)

Da kommt Dir ein Jugendlicher entgegen, der Dich freudestrahlend mit „Habari father?“ begrüßt – als katholischen Priester also… Kein Wunder, wenn man bedenkt, wie weit abseits wir uns hier von den touristischen Strecken befinden – und dann noch ohne die große Gruppe anderer Wazungu. Da liegt es nahe, dass man zu der anderen großen Gruppe Weißer Gäste im land gehören muss: zu den Missionaren!

(…)

Während Du Dich noch fragst, ob die Kinder zuvor von einem anderen weißen Touristen verwöhnt wurden oder ob die das Sweety-werfende Bild des Mzungu von ihren Eltern geerbt haben, materialisiert sich ein weiterer Jugendlicher vor Dir und es kommt zu einem weiteren kurzen Smalltalk auf der Straße : „Help me with your watch!“ – „No!“ – „Why?“ – „Because I need it!“ – „Ah, okay…“ Mit diesen Worten macht sich der Junge wieder auf den Weg… Verwundert? Vielleicht hätte ich Dir das vorher erklären sollen: wenn Du in unserem Kulturkreis jemanden um etwas bittest, dann beinhaltet diese Bitte meistens die Erwartung, dass Dir auf die eine oder andere weise geholfen wird. Ein reines „Nein!“ ist unhöflich und enttäuscht Dich vielleicht sogar ein wenig. – Anders in Kenia: hier wirst Du laufend nach irgendetwas gefragt: von „give me a shilling“ bis hin zu „give me your hat“ – auf der Straße ebenso wie im Harambee im Bekanntenkreis. Im Unterschied zu unserer Kultur scheint es jedoch niemanden ernsthaft zu stören, wenn Du mit einem „Nein“ antwortest. Schließlich kostet das Fragen ja nichts – und wo es keine wirkliche Erwartungshaltung hinter der Frage gibt, da kann auch niemand enttäuscht werden…

(…)

Die Weißen werden in Ostafrika nach dem benannt, was sie hier in erster Linie tun: „Mzungu“ kommt vom Verb „Kuzunguka“ – vom umherreisen, trödeln, Zeit vertreiben (und Geld ausgeben)…

(…)

leider hat sich das Bild des gebenden Weißen in Kenia so weit etabliert, dass einige Menschen die finanziellen Hilfen aus Übersee inzwischen als notwendige Lebensgrundlage ansehen. „Das Prinzip wird nicht mehr verstanden“ bemerkte Mister Mwey, der Manager des CITC vor kurzem: „Im Norden leben Leute, die nicht nur von der Entwicklungshilfe leben, sondern die laut protestieren würden, wenn die Gelder reduziert würden – inzwischen sehen sie die Hilfe aus Übersee als ihr Recht an. Traurig ist, dass ihre Kinder ebenso aufwachsen. Da gibt es das ganze Leben lang jemanden, der sich um Dich kümmert – und dieser jemand bist Du!“

(…)