Erster Bericht, in dem Gynna über ihr Austauschjahr in Ecuador schreibt und damit den geographischen Grundstein für unsere gemeinsame Idee legt.

Mein Jahr in Ecuador – oder Das Kennenlernen einer anderen Welt

Wo ist das überhaupt… ? Wieso wolltest Du denn ausgerechnet da hin… ? Haben die da eigentlich auch Fernseher…?Was isst man da denn so… ? Hat’s dir denn gefallen und wie war’s eigentlich da in Ecuador…???

Fragen über Fragen, die vor meinem Austauschjahr an mich gestellt wurden und die auch jetzt noch mich stets überfallen und auf die ich natürlich auch gerne Antworten geben möchte. Nur, wo soll ich anfangen. Es ist wirklich wahnsinnig schwer auf diese ganzen Fragen zu antworten, weil ich im Endeffekt nicht wirklich etwas von dem vermitteln kann, was ich denn alles in diesem Jahr, in diesem Land mit der neuen Kultur, den „anderen“ Menschen und nicht zuletzt auch mit mir selbst erlebt habe. Aber ich werde mich bemühen, Euch einen möglichst interessanten, anschaulichen und umfassenden Überblick über „mein Jahr in Ecuador“ zu geben.

Warum ich ausgerechnet in Ecuador gelandet bin, kann ich eigentlich gar nicht mehr genau sagen, ich wollte eine Kultur kennenlernen, die sich möglichst von der unseren unterscheidet, wollte gern Spanisch lernen und wurde auch von verschiedenen Leuten beeinflusst, die sich mal in diesem Raum aufgehalten haben und sehr begeistert waren.. Was es denn eigentlich bedeutet, ein Jahr seine vertraute, heile Welt zu verlassen und sich auf ein neues Leben einzustellen, habe ich erst wirklich begriffen, als es dann schon zu spät war…
Das, auf das ich mich damals einlassen wollte, konnte ich natürlich noch nicht begreifen, was ja wohl auch das Aufregende verkörperte. Was ich eigentlich wollte, suchte und mir versprach, war mir nicht klar. Ich wollte nur eins – und zwar weg- und mal gucken, was so passiert. Und zwar wollte ich, dass möglichst viel passiert, weshalb ich wohl denn auch in dieses kleine, am Pazifik liegende, lateinamerikanische, unbekannte Land gefahren bin, anstatt, wie die meisten anderen Austauschschüler in die USA. Meine Erwartungen, auf etwas „anderes“ zu stoßen, wurden auch ausreichend erfüllt, wie ich teils dann unangenehm überraschend bemerken musste. Denn natürlich war es, besonders am Anfang, nicht immer so ganz leicht, sich mit den doch sehr unterschiedlichen Lebens und Denkweisen anzufreunden. Vom Lebensstandard her, den ich in meiner Familie genießen durfte, hatte ich keine wirklichen Umstellungsprobleme, da meine Familie wohlhabend ist – für ecuadorianische Verhältnisse…Zwar hatte ich nur ein ganz kleines Zimmer, musste meine Wäsche selbst mit der Hand waschen und musste teilweise konnte man nur kalt duschen,…aber ansonsten ging es mir halt „ganz normal“. Viel interessanter, aufregender und manchmal auch erschreckender ist es dagegen, dass Land und die Menschen im Allgemeinen kennenzulernen. Besonders schrecklich war es für mich anfangs, mit der Armut, der Korruption und der Ungerechtigkeit umzugehen, die ich ja vorher nicht in dieser offensichtlichen und grausamen Form kennengelernt hatte.

Wie sollte ich denn bedenkenlos akzeptieren, dass ein 15- jähriges Kind (unser Hausmädchen) den ganzen Tag und wahrscheinlich ihr ganzes Leben für eine Familie (mich inbegriffen) die gesamte Hausarbeit leisten muss, für einen Lohn von umgerechnet 40 DM im Monat …und das nur, weil sie eben Pech gehabt hat, keine Familie mehr hat, keine Schule besuchen kann und daher sich durchschlagen muss, ohne von nirgendwo Unterstützung zu bekommen. Teilweise war die Lage echt verzwickt und ich fühlte mich oft so klein und machtlos, gegenüber solchen Situationen, mit denen man halt ständig konfrontiert wurde, gegen die man aber auch nichts machen konnte.
Doch trotz der Armut und allem Elend, habe ich auch viel Lebensfreude, Herzlichkeit und Fröhlichkeit – gerade von eher ärmeren Menschen erfahren können. Natürlich leben die meisten dort viel primitiver – die Indios mitunter nur in irgendwelchen mit Heu aufgeschichteten Kuhlen , oder zusammengetragenen Schrott, worunter sie notdürftig wohnen. Doch allgemein habe ich den Eindruck gewonnen, dass sie trotzdem glücklich sind, da sie noch die Gabe besitzen, sich an den kleinen Dingen des Lebens intensiv zu erfreuen.
Außerdem sind die Ecuadorianer sehr belastbar und duldsam, was man wohl der Situation des Landes entsprechend sein muß. Jeder sieht irgendwie zu, dass er sich möglichst wacker durchs Leben schlägt, an Stelle von Sozialversicherungen, tritt der Familienzusammenhalt, an Stelle von Ordnung und eingehaltenen Gesetzten, tritt die Zuversicht auf den Willen Gottes. Wie oft habe ich von leidenden Menschen nur ein hilfloses: „Es ist gut so, denn Gott will es schließlich…“, gehört.
Es gibt einfach keine Garantie, keine Sicherheit, alles ist möglich. So wurde den Beamten zum Beispiel ein halbes Jahr kein Gehalt ausbezahlt, weil der Staat zahlungsunfähig war, was in Hungerstreiks und Schulschließungen endete. Die meisten Familien haben eben kein angespartes Geld zur Verfügung und sind daher unbedingt auf ihr monatliches Einkommen. Weiterhin wurden für eine bestimmte Zeit alle Konten „eingefroren“, was heißt, dass keiner sein Geld abheben konnte (meines ist immer noch da !). Einige Banken mussten sogar Konkurs anmelden und keiner der Anleger sah sein Geld jemals wieder. Der Kurs der ecuadorianischen Landeswährung ist allein in der Zeit meines Aufenthalts um mehr als 100% gefallen. Die Straßen wurden teilweise für Wochen von streikenden Indios gesperrt, so dass sich keiner mehr außer mit Hubschrauber und Fahrrad innerhalb des Landes bewegen konnte.
Aber schließlich gewöhnt man sich auch an diese Lebenssituationen und läßt sich gar nicht mehr schocken, da man weiß, dass alles hier unbeständig ist.
Ich habe mich wirklich schnell an dieses Leben gewöhnt, und schon bald fühlte ich mich auch in der Familie, aber auch in der Schule nicht mehr nur als Gast, sondern als echtes Mitglied, was dazugehört. Sogar an die erst wirklich schockierenden Dinge dieses Landes, wie eben die Armut, die Schuhputzjungen, barfußlaufende mülleimerdurchsuchende Gestalten etc. habe ich mich gewöhnen können. Selbst diese Bilder verloren an Grausamkeit und gehörten schließlich zur Normalität. Es ist schon erstaunlich, wie man sich doch an alles gewöhnen kann, was natürlich nicht immer als gut zu bewerten ist.
Da ich ja für eine Schülerzeitung schreibe, möchte ich jetzt noch mal auf die Schule eingehen, die ich in Ecuador besucht habe. Es war eine Katholische Mädchenschule. Die Schule wurde von Nonnen geleitet und sie war deswegen stark religiös ausgerichtet. Eine Schuluniform musste ich natürlich auch tragen. Richtig wohl gefühlt habe ich mich nicht in dieser Institution, was wohl daran lag, dass ich nicht so viel mit meinen Mitschülerinnen anfangen konnte, denn obwohl sie im selben Alter waren, erschienen sie mir doch sehr viel jünger und unreifer. Außerdem hatte ich immer das Gefühl nur meine Zeit zu verschwenden, denn richtig etwas lernen, konnte ich nicht.
Es wurde hauptsächlich frontal unterrichtet und die Schüler werden sehr auf Gehorsam, Respekt und unselbständiges Denken getrimmt, da sie gezwungen werden, alles, was der Lehrer predigt, ohne nach- und hinterzufragen annehmen müssen. Fast nie kam es vor, dass sich ein Lehrer darauf einließ, mit den Schülern über ein Thema zu diskutieren und genauso selten war es daher, dass überhaupt Fragen gestellt wurden.
Mit manchen Gewohnheiten dieses Schullebens konnte ich mich nur schwer abfinden. So musste sich beispielsweise die gesamte Schule am Montagmorgen in Reih und Glied aufstellen, um die Woche mit dem Singen der Nationalhymne zu beginnen. Es war schon etwas seltsam für mich, diesen Nationalstolz zu erleben.
Schon von Klein auf an, lernen die Schulkinder zu marschieren. Das ist gar nicht so einfach, aber ich habe es dann auch gelernt. Einmal in der Woche, ging man dann mit seiner Klasse in die Messe. Zwar haben sie es selbst durch erhebliche Bemühungen nicht geschafft, mich zu bekehren, aber ich habe trotzdem viel über die christliche Denkweise der Menschen gelernt und verstanden, was Glauben sein kann.

Ich denke, dass ich sehr viel durch diesen Aufenthalt in Ecuador gelernt habe. Es war zwar die härteste Zeit meines Lebens, – ich habe soviel gelacht aber auch geweint, wie nie zuvor ich mich selber teilweise ziemlich zurückstellen musste und mir die Spielregeln, die mir aufgezwungen wurden nicht immer gefallen, aber letztendlich sind es im Rückblick viele, unendlich tolle Erfahrungen, die ich machen durfte, und die mich wohl für immer irgendwo bereichert und verändert haben.
Zu guter letzt möchte ich euch jetzt wärmstens empfehlen, mal zu überlegen, ob ihr nicht auch Lust hättet, etwas Vergleichbares zu machen… Am Besten nach der 10. Klasse, nach dem Realabschluß oder eben nach dem ABI. Informationen über Austauschorganisation AFS und die Möglichkeiten eines solchen Austauschjahres, könnt ihr dann gerne bei mir einholen.