Zwanzigster Rundbrief, in dem Zeit keine Rolle spielt und ich der Frage nachgehe, warum die Menschen hier so genügsam sind (nicht fertig digitalisiert).

Wo ist die Panga?“ – Der seit einigen Wochen eingestellte Gärtner dreht sich um und Sarah sieht ihm hinterher, während er schweigend zum übernächsten Nachbarn schlendert und das an einen Freund verliehene Buschmesser zurückholt. Sarah wendet sich wieder mir zu: „Weißt Du, das gefällt mir an Kenia so: was mein ist, soll auch Dein sein und Dein ist auch mein. Mit Eigentum, wird hier noch ganz anders umgegangen.“ (…) Dieses Prinzip ist auch in der Sprache verankert: während es im Deutschen „das ist meine Panga“ heißt, sagt man in Kiswahili „die Panga ist mit mir“ und anstelle von „ich habe das Buch auf den Tisch gelegt“ heißt es hier „das Buch ist auf den Tisch gelegt worden“.

(Panga: mit dem Buschmesser wird hier fast alles gemacht: im Garten dient sie als Sichel oder als Schaufel, in der Küche zum Zerlegen von Hühnern (meist mit gesplitterten Knochen) und auf der Veranda als Hilfsmittel, um die Fingernägel zu säubern. Passenderweise ist „Panga“ auch der Name für eine Kernseife, die selbst blaue Jeans wieder in vollem weiß erstrahlen lassen kann…)

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Auch wenn Kenia auf den ersten Blick sehr modern erscheint, so finde ich es doch bemerkenswert, wie viel Ursprünglichkeit unter dieser modernen Oberfläche zu Tage kommt.

Da gibt es zum Beispiel Computer in den Banken, eine weitreichende Elektrifizierung, Fernsehen (oft nur mit einer Autobatterie betrieben, da nicht alle Haushalte über einen Stromanschluss verfügen) und Digitaluhren, aber auf der anderen Seite wird weiterhin auf dem Feuer gekocht und die Frau speist auch weiterhin mit den Kindern in der Küche, wenn Besucher kommen. Die Rolle der Frau hat sich in den vergangenen Jahren kaum weiterentwickelt: nach wie vor fast ausschließlich in Röcke gekleidet stellen sie immer noch die eigentlichen (vielfach missachteten) Ernährer der Familien dar. (…) Stets mit Jembe in der hand oder 20-Liter-Kanister auf dem Kopf. Nicht umsonst wird in sämtlicher Fachliteratur immer wieder darauf hingewiesen, wie wichtig der Kontakt und die Zusammenarbeit mit den Frauen ist. Aber auch die Männer werden ihrer althergebrachten Rolle gerecht: oftmals mit einem traditionellen Stock bewaffnet in Gesellschaft anderer Männer auf dem Weg von oder zur nächsten Bar, in der entweder das weit verbreitete „Tusker“ oder das lokal gebraute „Pombe“ genossen wird…

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Auch der Umgang mit der Zeit ist sehr ursprünglich: allein der monatliche Bankbesuch kann Zeiträume von einer bis zu drei Stunden in Anspruch nehmen – und das trotz Computern und Digitaluhren…. „Wir leben hier einfach ein bisschen mehr pole pole (langsam)“ formuliertes es Field-Coordinator Metto vor ein paar Tagen, als wir uns im Anschluss an die Besichtigung einer Wasserquelle in der Schule festredeten.

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Warum setzen sich die Menschen hier nur so wenig für die Verbesserung ihres Lebens ein? Im Stammesgebiet der Nandi gibt es nur drei Hauptgerichte: Ugali und Sukumawiki (eine Art Polenta-Maisbrei und grünkohlartiges Gemüse), Githeri (trockener Mais mit Bohnen) und Chai (jener Zucker mit ein wenig Tee und Milch, von dem ich bereits berichtet habe). Obwohl dieser Landstrich zu einem der fruchtbarsten Gebiete Kenias zählt, findet man hier nur wenig Bananen, Tomaten, Kartoffeln und anderes Obst / Gemüse. Die Nandi, die ich auf diese Beobachtung hin angesprochen habe, antworteten: ohne Ugali könnten wir nicht überleben.“ – Geschmacksverirrung oder Genügsamkeit? Jedenfalls bleibt die Nahrungsgrundlage so einfach und unverändert wie seit vielen Jahren, obwohl eine größere Variationsbreite mit wenig Aufwand zu erreichen wäre…

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In Kenia gibt es nur wenig „kulturelle Zentren“, in denen Kunstobjekte als Souvenirs angeboten werden – und selbst diese Gegenstände sind oft aus Tanzania, Malawi oder Uganda importiert. Kleine Ausnahmen bieten das Hirtenvolk der Maassai mit dem weltweit bekannten Schmuck und ihren Waffen und die Turkana mit ihren Flechtwaren (Körbe, Teppiche, etc.). Dazu eine Beobachtung aus den Briefen von Gisela Grimm: „… nur selten werden helle, dunkle, rote, gelbe oder weiße Lehmsorten zur Verschönerung der Außenwände (dieser Lehmhütten) beim verputzen verwendet, obwohl kostenlos oder für geringe Transportkosten vorhanden. Blumen und Obstbäume sind eine Ausnahme. (…) Man arrangiert sich schnell mit den Gegebenheiten, der Aufwand für eine Verbesserung – durchaus Verbunden mit Erleichterung – wird selten geleistet (…). Einzuge Ausnahme scheint die persönliche Kleidung zu sein, bei der man gerne hübsch zusammenstellt und häufig wäscht. Aber eine gerissene Naht oder ein Loch werden nur selten geflickt. Natürlich verlangt das Leben einigen Einsatz und die Menschen des relativ wohlhabenden Nandigebiets haben kein Geld im Überfluss, aber Ästhetik, Verschönerung, Farbe, Arrangement, Musik, Gesang und Tanz sind oftmals nur eine Frage des Interesses und der Aktivität und weniger des Geldes. Unsere Erwartung war ein weit ausgeprägteres kulturelles Erscheinungsbild. Feste bestehen in der Regel nur aus einem Zusammensein mit einfachem Essen – nur bei sonntäglichen Kirchenzeremonien erlebten wir einfache Trommelmusik mit Hüpftänzen. (…) Warum hat diese arme Region (die Rede ist von dem nördlich gelegenen Gebiet der Turkana) mit äußerst entbehrungsreichem Leben so viel mehr Kunsthandwerk hervorgebracht als das grüne, fruchtbare Hügelland der Nandi? (…) Eine Erklärung für diesen Mangel an Kunst- und Kulturgegenständen fanden wir bisher nur in der Erklärung, das traditionell gefertigte Kultfiguren und Tiere mit einer bestimmten rituellen Funktion oder Aufgabe belegt waren und im Rahmen einer zeremoniellen Handlung zerstört wurden…“ Tatsache bleibt, dass nur selten der Wunsch verspürt wird, sich das Leben etwas schöner und angenehmer zu machen.

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