Huaraz – Huanuco – Huancayo – Ayacucho

Heute ist wieder einer jener Tage, an denen wir uns abends wohlig-geschafft zuruecklehnen und auf die Strapazen des Tages zurueckblicken: stundenlange Anstiege, kulinarische Entbehrungen, ein alle Sinne betaeubendes Geruckel und frustrierende Erfahrungen mit Fehlinformationen zu den Wegstrecken. Unwillkuerlich frage ich mich, wie ich wohl reagiert haette, wenn ich den Tag mit allen seinen Widrigkeiten vorausgesehen haette. Wahrscheinlich haette ich mich wieder in meinem Schlafsack verkrochen und die Welt da draussen einfach so lange ignoriert, bis eine Mitfahrgelegenheit des Weges gekommen waere…
Wie gut ist es da, dass das Gehirn die meisten negativen Erfahrungen vergisst und nur die schoenen Momente langzeitlich speichert, denn jeden Tag werden wir aufs neue durch unglaubliche landschaftliche Eindruecke und wunderschoene Momente entlohnt. So starten wir jeden Tag aufs neue voller Vorfreude auf das, was der Tag wohl bringen mag – die kleinen Leiden des Vortags sind da laengst vergessen…
Leider laesst sich dieser eigentliche Reiz unserer Reise so schwer in Worte fassen, so dass ich auf die Galerie verweisen moechte, wo ihr eine Ahnung von der Schoenheit der Landschaft bekommen koennt.

Cordillera Blanca Ein wenig stolz koennen wir berichten, dass wir uns mit den Raedern ueber die Cordillera Blanca gekaempft haben (die mit 40 ueber 5.000 m hohen Bergen hoechste Gebirgskette Perus). Niedlich wie wir sind, haben wir uns auf unserem ersten 5.000-er Pass (genauer: in 5.059 m Hoehe) gegenseitig zu Helden gekuert und zur Feier des Tages (und weil es die einbrechende Dunkelheit so wollte) dann auf ca. 5.000 m uebernachtet. Ben durfte sogar einen doppelten Heldentitel davontragen, weil er sich den Widrigkeiten mit seinen diversen kleinen Krankheiten stellte (ein paar hartnaeckige Parasiten, eine Bakterieninfektion und eine gemeine Erkaeltung, die das Atmen in den Hoehenlagen des Altiplano nicht gerade erleichtert hat).
Es war wunderschoen, die ruhige Einsamkeit des Altiplano erfahren zu duerfen. Auf der Hoehe von ueber 4.000 m wohnen nur noch wenige Hirten mit ihren Familien und die sehr untouristische Nebenstrecke wird nur alle zwei Tage von einem kleinen Collectivo befahren, so dass unsere einzigen Begegnungen mit Ziegen, Kuehen, Schafen, Wildpferden, Lamas und Voegeln stattfanden. Ich kann gar nicht genau beschreiben, was den Reiz dieser eigentuemlichen und vegetationslosen Landschaft ausmacht – aber es gibt eine ganz besondere Ruhe und einen Frieden da oben, der sehr heilsam auf die Seele wirkt.

Geschwindigkeit Mittlerweile haben wir uns auch schon ein wenig an unsere langsame Fortbewegungsart gewoehnt. Oft schaffen wir nur zwischen 5 und 10 Kilometer in der Stunde, was an den Anstiegen, dem Sauerstoffmangel in den Hoehenlagen, der schlechten Fahrbahnbeschaffenheit und vielen wichtigen Fotopausen liegt. Doch beruhigend ist zumindest, dass auch motorisierte Fahrzeuge oft nur zwischen 20 und 30 Km/h schaffen – so braucht der Bus von Ayacucho nach Andahuaylas fuer eine Distanz von 250 Km zur Zeit etwa 10 Stunden (in der Regenzeit koennen es laut Reisefuehrer und Buspersonal bis zu 32 Stunden werden).

Busfahrten Der Reisefuehrer hat es bereits prophezeit: Wer durch die Anden radelt, der landet frueher oder spaeter entweder auf der kuestennahen Panamericana oder im Bus, um wieder einmal ein wenig voranzukommen. So haben wir in den vergangenen Wochen auch drei Teilstrecken mit dem Bus zurueckgelegt, um unser Material und unsere Nerven ein wenig zu schonen. Mit maessigem Erfolg: waehrend Ritzel und Ketten geschont wurden, ging die lateinamerikanische Materialprobe jedoch weiter. Durch das nicht gerade zimperliche Personal der Busgesellschaften haben wir durch unnoetig hektische Verladeaktionen inzwischen einen Kettenschutz, einen Sattel, einen Reflektor und eine Schutzblechhalterung zu beklagen (also nichts, was man nicht mit Bordmitteln wieder in Ordnung bringen koennte – aergerlich ist es trotzdem, wenn man das sonst eher apathische und gelangweilte Personal auf einmal in wilden Aktionismus verfaellt, nur weil der Bus in der naechsten halben Stunde losfahren soll).
Die Busse selbst holperten und huepften aehnlich wie unsere Drahtesel ueber die schlechten Pisten, so dass wir uns waehrend der Fahrt nicht wirklich entspannt zuruecklehnen konnten, sondern entweder mit den Beinen des Hintermannes im eigenen Kreuz beschaeftigten oder fragten, wie es den Raedern wohl im Kofferraum ergehen wuerde. Landschaft und Doerfer zogen durch die Fenster wohlportioniert mit immer gleicher Geschwindigkeit vorueber und wir vermissten schon nach kurzer Zeit Rundumblick, Wind, Geraeusche, Gerueche und die Moeglichkeit zum Innehalten an besonders schoenen Orten. Im Gegenzug wurden wir entweder durch recht brutale Aktionfilme ruhiggestellt (erschreckend, was auch den Kindern auf den Busfahrten zugemutet wird) oder mit peruanischer Musik beschallt. Stellt Euch eine Chinesische Weichspuelmusik vor, die durch ein paar Beats und drei oder vier immer wiederkehrende Synthesyzertoene unterlegt wird. Dazu ein anstrengend uebertrrrrriebener Sprechgesang zweier Personen. Text: „Ich liebe Dich. Ich kann ohne Dich nicht leben. Ich sterbe, wenn Du nicht bei mir bist.“ Sie (super-sopran): ay-ay-ay-ay-ay-ay-essss-sssso!“ Er (aeusserst maskulin): „si-si-si-si-si-si-si-hey-hey-hey-hey!“ Text: „Es lebe Peru! Wir gruessen Cerro del Pasco, Huancayo, Huaraz, …“ Die Strategie der Peruaner bei diesen Busfahrten scheint mir die beste Antwort auf dieses wilde durcheinander zu sein: die meisten schlafen spaetestens fuenf Minuten nach der Abfahrt ein :o)

Schmalspurbahn Von Huancayo aus haben wir uns eine Fahrt mit der Schmalspurbahn bis zur kleinen (ueberauss huebschen und von sehr freundlichen Menschen bewohnten) Stadt Huancavelica geleistet. Fuer den Fahrkartenkauf und das Verladen der Raeder waren insgesamt fuenf verschiedene Personen erforderlich – und am meisten haben wir uns ueber den wichtigtuerischen Schaffner gefreut, der uns die Raeder nur an zwei Tagen nacheinander transportieren oder auseinandernehmen lassen wollte, damit wir sie im Abteil verstauen koennten – in einem Abteil, in dem ohne Probleme Platz fuer zehn Kuehe und zwanzig Schafe gewesen waere. Die Fahrt selbst koennt Ihr Euch vorstellen wie die Kombination aus einer Fahrt in einer alten Berliner S-Bahn und einem langsamen Pferderitt durch die Anden. Nur mit Muehe und Not konnte ich Ben davon abhalten, waehrend der Fahrt auszusteigen und Blumen oder Kakteen zu pfluecken. Doch die entspannte Fahrt mit der Bahn und die darauf folgenden Tage mit Radtouren ueber abgelegene Pisten waren ein ausserst lohnenswerter Schlenker.

Erfahrungskiste Leider mussten wir lernen, dass man sich hier weder auf Karten oder Wegweiser, noch auf Auskuenfte der eigentlich ortskenntlichen Mitmenschen verlassen darf. Wir lernen teilweise schmerzhaft, dass es am sichersten ist, nichts zu glauben, sich auf alles vorzbereiten und sich auf nichts und niemanden zu verlassen – denn sonst kann es passieren, dass man aufgrund falscher Kilometerangaben in der Karte noch einige Stunden Nachtfahrt auf extremer Huckeldi-Ruckeldi-Piste dranhaengen muss, um an sein Ziel zu gelangen. Ein anderes mal hatten wir uns darauf verlassen, in einem in der Karte eingetragenen Ort unsere Wasservorraete auffrischen zu koennen – doch bestand dieses Dorf bei unserer Ankunft nur noch aus ein paar Lehmhuetten-Ruinen. Doch am lustigesten sind natuerlich die zeilichen und entfernungsmaessigen Auskuenfte unserer Mitmenschen. Um diesbezuelich mehr Sicherheit zu haben, fragen wir wenn es geht gleich mindestens 3 verschiedene Menschen nach einer Information. Mit Hilfe der Mathematik ermitteln wir dann einigermassen brauchbare Werte. Gestern erhielten wir beispielsweise von drei verschiedenen Menschen die Auskunft, dass der Ort Lircay noch 15 km, 50 km und 25 km entfernt liegt. Diese Zahlen summiert und durch 3 geteilt ergab 30 km, was der Wirklichkeit einigermassen nahe kam…

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3 Kommentare

  1. Christa Großmann

    Liebe Gynna, mit großem Interesse haben wir Eure Berichte gelesen.Wir drücken die Daumen, daß Ihr wohlbehalten Buenos Aires ankommt. Wir sind vor 15 Jahren von Montevideo aus in Argentinien gewesen. Bleibt gesund! Liebe Grüße von Horst und Christa Großmann.

  2. Philine

    Liebe Gynna, lieber Ben,
    dann wünsche ich weiter gute Reisedemenz und vor allem Gesundheit. Kolja winkt vom Wickeltisch, er ist grad ganz orange und langt mit seinen Händen überall hin ;-))

  3. Katja Hüttenrauch

    Hallo Ihr 2,
    heute habe ich es mal wieder auf Eure Website geschafft und stelle wie immer fest das es eine besondere Freude ist Euch begleiten zu dürfen. Eigentlich zieht es mich ja nicht so in weit entfernte Länder, aber Ihr könntet es glatt schaffen.
    Besonders freue ich mich über Eure Fotos. Sie sind wunderschön.
    Ich wünsche Euch und uns daheim gebliebenen noch eine schöne, spannende und erlebnisreiche Zeit. Passt auf Euch auf.
    Liebe Grüße
    Katja