Erster Rundbrief, in dem ich meinem Rucksack nicht hinterherlaufen muß, Zebras statt Schafe zähle und einen ersten kleinen Einblick in mein neues Zuhause gebe.

Die Maschine dreht noch eine letzte Schleife und setzt zur Landung an. Draussen ist es bereits dunkel und nur ein paar Lichter kenn-zeichnen die Metropole. ich stelle meine Uhr und denke nach: acht Stunden Flug – acht Stunden, die mich von Frankfurt trennen – Stunden, die den Beginn eines anderen Lebens bedeuten – ein Leben in Kenia, in Afrika, dem geheimnisvoll lockenden Kontinent…

Auf meinem Weg durch das Flughafengebäude werde ich von Touristen mit kurzen Hosen, Sonnenbrillen und forschem Schritt überholt. Polepole denk’ ich mir – hier ist Afrika – hier hat der Mensch noch Zeit… Langsam tapere ich hinter der bunten Masse hinterher und treffe sie am Schalter wieder – wartend. Kurz darauf an den fast leeren Fließbändern der Gepäckausgabe. Ich nehme meinen Rucksack und verlasse die sich über die kühle Nachtluft beklagende Menge – es ist Nairobi bei Nacht!
In der Empfangshalle werde ich sofort von Taxifahrern umlagert und bin froh, dass ich meinen Rucksack fest auf dem rücken habe – nicht wie diese Reisenden, die dort hinten dem Taxifahrer nacheilen, der mit ihrem Gepäck voraus in der Menge verschwindet… Inmitten der vielen Gesichter das freundliche Lächeln Mister Seroneys, des Managers der Trainingsabteilung. Kurz darauf erscheint auch Wilson, der Fahrer des CITC in Kapsabet. wir fahren mit dem Subaru ins Zentrum Nairobis – diesmal regnet es nicht, aber Dunkelheit, die lange Straße und der einsetzende Regen machen die Fahrt zu einer Reise Raum und Zeit. Wir halten am CPK Guest House, dem Knotenpunkt aller Missionare. Nach dem Einschreiben fülle ich die Anträge für meine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung aus, dann geht es ins Bett. Lala salama – schlafe friedlich – lala salama…
Am nächsten morgen nach einigen Besorgungen dann die Fahrt zum CITC – 340 Kilometer – die ersten wilden Zebras – lala salama…

„Ich hatte eine Farm in Afrika am Fuße der Ngongberge“ – so beginnt Tanja Blixen ihr Buch „Afrika, dunkel lockende Welt“, das unter dem Titel „Out of Africa“ verfilmt wurde. Ähnlich kann ich jetzt von meinem neuen Heim schreiben: „Ich bewohne zwei kleine Zimmer in den Nandihills“.

Das Christian Intermediate Technology Centre (kurz: CITC) liegt an einem der sanften Hügelhänge mitten im ländlichen Gebiet der Nandi Hills. Dieses Gebiet unweit des Äquators zeichnet sich durch seine grünen und fruchtbaren Hügel in etwa 2.000 Metern Höhe aus und wird seit langer Zeit von den Nandi bewohnt. Die Nandi waren Viehzüchter, bei denen das Vieh in bezug auf Ansehen und Stellung wie in vielen anderen Völkern eine herausragende Rolle spielte. Im Laufe der Zeit wandelten sie sich von Viehzüchtern zu Landwirten und viele Kühe werden nicht mehr auf dem Weideland, sondern in Ställen (sogenannte zero-grazing-units) gehalten. Anders ist dies mit den Ziegen, Schafen und Hühnern, die nahezu überall angetroffen werden können. Die äußerst günstigen klimatischen Verhältnisse (Juli 20-25°C / Dezember bis Januar 30-35°C / Nachts unter 12°C / viel Sonne und häufiger Regen) ermöglichen zwei bis drei Gemüse-ernten im Jahr. Dennoch wird in erster Linie Tee für den Export und Mais, Mais, Mais für die eigene Versorgung angebaut – Kartoffeln, Zwiebeln, Tomaten, Bohnen und Mohrrüben findet man hingegen eher selten.

Auf den im Durchschnitt sieben bis zehn acres (zwei bis zweieinhalb Hektar) großen Farmen werden in der Regel mehrere Häuser gebaut – eine ausgelagerte Küche und die Unterkünfte für die Großeltern, sowie ältere Jungen und Mädchen. Vorherrschende Bauwei-se sind archetypischen Strohhütten und wellblechgedeckte viereckige Lehmbauten, wobei man insbesondere in der Gegend rund um die Distrikthauptstadt Kapsabet viele Häuser aus Betonsteinen oder Backsteinen mit Wellblechdeckung sieht. Dachziegel in rot oder grau sind hingegen aus Kostengründen eher selten. Eine besondere Prägung erfährt das Landschaftsbild durch die große Anzahl von Bauruinen – Projekte, die aufgrund von Fehlkalkulationen oder –planungen nicht beendet wurden und nun langsam verfallen oder als günstige Quelle für Baustoffe dienen.

Der größte Teil der Nandis, die in dieser fruchtbaren Region Kenias leben (17% der Fläche sind Ackerland, die 83% Halbwüsten und Wüsten gegenüberstehen) sind relativ wohlhabend und können sich gute Kleidung (oft in Form von Anzügen), ein Fahrrad und manch-mal sogar ein Auto leisten. Ansonsten scheinen sie sehr genügsam: ein Tisch, ein paar Stühle und Matratzen oder Hocker und Felle bilden die Ausstattung einer schlichten Lehmhütte mit Wellblechdach – letzteres eine vom modernen Leben beeinflusste Neuerung im Hausbau, die – obwohl teuer, heiß im prallen Sonnenschein, kalt in der Nacht und extrem laut im prasselnden Regen – immernoch als Zeichen des Fortschritts in der Sonne blitzen – zumindest so lange, bis sie zu rosten beginnen und langsam löchrig werden. Wichtig scheint das Dach über dem Kopf – alles, was in Richtung Komfort oder Ästhetik vordringt, scheint zweitrangig zu sein. So kümmert niemanden das Loch im Anzug oder im Rock (letzterer immer noch das traditionelle Kleidungsstück der Frau) und auch im kulturellen Bereich findet man diese Einstellung häufig wieder – so etwas wie Kunsthandwerk hat sich hier nicht entwickeln können und Gegeben-heiten werden oftmals so hingenommen – scheinbar ohne Eigeninitiative und Willen zur Änderung…

Neben dieser Art der Genügsamkeit begegne ich immer wieder Freundlichkeit und entgegenkommenden Personen mit viel Hilfsbereit-schaft und viel, viel Zeit. Auch ein mangelndes Interesse kann ich nicht bestätigen. Oft werde ich als „mzungu“, als Weißer oder Euro-päer angesprochen und über meine Heimat befragt. Immer wiederkehrende Fragen nach der Anzahl der Stämme, die es in meiner heimat gibt, dem Klima und dem „generellen vergleich zwischen Kenia und Deutschland“ sind zwar auf die Dauer ein wenig anstrengend, aber schließlich habe ich auch meine Fragen, die ich gerne von einem Einheimischen und nicht von einem Reiseführer beantwortet haben möchte.

Das große Interesse an Deutschland (diesem großen fernen westlichen Paradies) kommt wahrscheinlich durch die reichen Touristen auf der einen und die in letzter Zeit verstärkte Entwicklungshilfe auf der anderen Seite. Enland hingegen wird oft noch skeptisch als ehemalige Kolonialmacht angesehen – als ein Land, das viele Spuren in kenia hinterlassen hat: das bürokratische System, die Han-delssprache und sogar die Zeremonien und Flaggenappelle. Während Geburtstage nur im frühen Kindesalter gefeiert werden, so stellen die nationalen feiertage für die Präsidenten (3 im Jahr) und die Unabhängigkeit große Atraktionen dar. Bei den fetsivitäten wird in jedem größeren Dorf eine vom Präsidenten verfasste Rede verlesen, Paraden finden statt und die Schüler präsentieren stolz Lieder und Tän-ze. Natürlich dürfen Militär und BoyScouts dabei auch nicht fehlen…

Doch das Leben in Kenia ist nicht statisch, sondern einem ständigen Wandel unterworfen. Die Jugendlichen tendieren seit einiger Zeit dazu, die „Stammeszugehörigkeit“ von Freunden und Freundinnen nicht mehr zu beachten, sondern „mischen sich frei untereinander“, was nicht selten zu innerfamiliären Generationenkonflikten führt. Besonders geprägt wird das moderne Leben auch durch das Christen-tum und die Missionarsarbeiten in Kenia. Es ist mir ein Rätsel, wie sich die Menschen hier in einem gewirr von über 800 verschiedenen christlichen Denominationen zurechtfinden… Religion und Alltag sind eng miteinander verwoben und in kaum einem Haus findet sich nicht mindestens ein christlicher Spruch oder ein kleines Bildnis (oder eine Bibel, die aufgrund der Subventionierungen in Kenia unheim-lich günstig sind).

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„Cook it, peel it, boil it or forget it!“ – da das Wasser nicht abgekocht ist und ich nicht weiß, wie ich es pellen sollte, lasse ich es ebenso wie den Salat und die Tomaten stehen – unangetastet. Könnt Ihr Euch vorstellen, was für ein Gefühl das ist, das kostbare Wasser einfach stehen zu lassen, weil es irgendwelche Krankheitserreger beherbergen könnte?

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Neben allgemeiner Landes- und Bevölkerungskunde fand ich kürzlich in einem Reiseführer einen sofort anwendbaren Sprachschatz in Kiswahili, über den ich mich doch wundern musste! Neben allgemeinen Begrüßungsfloskeln las ich dort in erster Linie Beispielsätze wie „sahani hii hapana safi“ (dieser Teller ist nicht sauber), „supa baridi“ (die Suppe ist kalt), „funga dirisha“ (schließe das Fenster) und schließlich sogar „fanya kama mimi“ (mach es wie ich). Ich frage mich nur, wie erst der Urlaub aussehen muss, wenn solche Sprachbei-spiele in den Reiseführern gebracht werden…

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