Fünfter Bericht aus San Pedro

In der frohen Hoffnung, mein Versprechen zu halten und diesen Rundbrief nicht zu lang werden zu lassen, schwinge ich nun die Finger ueber die Tastatur…

Anfaengliches Reflexionsgeplaenkel
Eine komische Vorstellung ist das fuer mich, dass es bei Euch nun schon wieder winterlich und adventisch ist. Bei uns ist es jetzt so richtig schoen war. So warm, dass es schon manchmal sogar ein wenig zu viel des guten ist… und auch das Meer ist schon so aufgewaermt, dass es gar nicht mehr richtig erfrischend ist. Da muss man dann schon weiter reinschwimmen, um sich richtig erfrischen zu lassen, – doch das ist aufgrund des Wellengangs und der starken Stroemung sehr gefaehrlich… Hier herrschen doch andere Natuergewalten als in den mir vertrauten Ost- und Nordseen… Will es mir aber zur Angewohnheit machen, mindestens einmal alle zwei Tagen hineinzuhuepfen, um es zu wuerdigen und zu geniessen, dieses unwahrscheinlich tolle Privileg zu haben, den Pazifik direkt vor der Haustuer zu haben. Doch ich befuerchte, dass dies wohl nur ein Wunsch sein kann. … so, wie ich viele, viele Wuensche und Ideen und Traeume habe, die ich leider auf Grund von Zeitmangel (weil zu viele Wuensche und Ideen und Traeme..) nicht verwirklichen kann…

Aber gut. Ich will nicht klagen! Vor allem deshalb nicht, weil ich glaube, nie zuvor ein derartig sinnerfuelltes, aktives, aufregendes, gesundes, menschen- und natuernahes, aufregendes, lehrreiches, kreatives, intensives, ausgeglichenes… Leben gehabt zu haben. Bin sehr gluecklich, – auch wenn ich mich manchmal aergere und manchmal durch so viele selbsterwaehlte Aktivitaeten in Stress ausarte… Doch auch daruber will ich nicht klagen, – denn ich scheine es ja irgendwo so zu wollen…
Mir fehlt es eigentlich an nichts… momentan… aber vielleicht auch nur, weil ich weiss, dass meine Zeit hier begrenzt ist (und daher so kostbar…) und ich nicht fuer immer auf Euch (und vor allem auf Ben…) verzichten muss. Was mir am meisten fehlt hier sind Menschen, die mir aehnlich sind und mit denen ich mich konstruktiv austauschen kann und etwas gemeinsam auf die Beine stellen kann, – die mich unterstuetzen und die ich unterstueten kann… Vielleicht gibt es solche Menschen auch hier… nur bislang sind sie mir nicht begegnet und so fuehle ich mich manchal eher wie eine Einzelkaempferin… was fuer eine Zeitlang auch wichtig und gut ist (denn so lerne ich mich besser kennen und lerne, in mir eine Stuetze zu finden…) – doch auf die Dauer wuerde mir wohl etwas fehlen…
Etwas wehmuetig macht es mich schon, dass jetzt schon bald Weihnachten und somit ueber die Haelfte meiner Zeit hier vorbei sein wird. Und so verbringe ich auch immer einen kleinen Teil meiner Zeit damit, mich nicht zu sehr auf das Leben hier einzulassen und mir zu vergegenwaertigen, dass ich wieder Abschied nehmen muss…

Aber zum Glueck muss ich nicht ganz Abschied nehmen, – denn ich habe seit Sonntag letzter Woche eine Patentochter! Sie heisst Ami Arellis, wurde am 14. Juni 2006 geboren (also auch ein kleiner Zwilling), ist meine derzeitige Nachbarin und ein ausgesprochen nettes, wenn auch in meiner Gegenwart noch schuechternes, Maedchen. Vor allem hoffe ich sehr, dass sie sich aehnlich, wie ihre 7-jaehrige Schwester Nicole entwickelt; – ein ausgesprochen tolles, huebsches, intelligentes und sensibles Maedchen, mit der ich mittlerweile eine sehr schoene Beziehung habe. Sie ist, sobald sie mich in meinem Haus entdeckt bei mir. Wir arbeiten viel zusammen (meist schnitze ich, waehrend sie Ketten oder Freundschaftsbaender aufzieht) oder wir singen zusammen mit der Gitarre. Meistens ist Tamara, die 8-jaehrige Cousine und ebenfalls Nachbarin auch dabei. An dem Sonntag meiner Patenschaftsschliessung habe ich einige Familienmitgleider meiner Nachbarsfamilien (die ja alle miteinander verwandt sind) zum Pfannkuchenessen eingeladen. Vorher habe ich schon angekuendigt, dass ich mich nun bereit fuehle, die Patenschaft fuer Ami zu uebernehmen, – und so wurde es so etwas wie ein kleines Fest fuer Ami. Als sie dann wundersuess und unschuldig in meiner Haengematte eingeschlafen ist, habe ich den entscheidenden Akt vollfuehrt- und ihr die Fingernaegel abgeschnitten. Dies ist hier der Brauch. Die Fingernaegel werden bei den Kindern immer nur ein ganz bisschen geschnitten, bis das Kind eine Patentante (Patenonkel gibt es glaube ich nicht, zumindest hat Ami auch nur mich als Paten) gefunden hat. Diese schneidet dann zum ersten Mal im Leben des Kindes die Fingernaegel richtig ab und ist dann fortlebens die Patin. Nun bin ich gerade damit beschaeftigt, ihr ein Namensschild mit Vogel und Ranken zu schnitzen… nicht zuletzt auch deshalb, weil ich mich mit meinem Patendasein so ein bisschen mehr auseinandersetzen kann…. Denn auch, wenn es die Ecuadorianer mit ihren Paten und Patenschaften nicht so genau nehmen ist es fuer mich schon eine Sache mit viel Bedeutung.

Mi vida al momento
Bezueglich Cerleco:

Uebernehme nach und nach immer mehr Kinder bei Cerleco, bei denen ich hauptverantwortlich die Therapien durchfuehre, – was mir grossen Spass bringt. Vermissen tu ich hier allerdings den konstruktuven Austausch mit meinen Kolleginnen. Leider habe ich naemlich nur Kinder von Janella, Miriam (die ecuadorianische) und Lijia uebernommen, – und nicht von Pilar, – mit der dann nach einer Foerderung ein interessanterer Austausch/Reflexion moeglich waere (da sie wesentlich mehr Fachwissen hat, als ihre juengeren Kolleginnen). Weiterhin fehlt es mir etwas problemlos noch einmal in Fachliteratur nachschlagen zu koennen, um bei speziellen aufkommenden Fragen direkt etwas genauer nachforschen zu koennen.
Nichts desto trotz habe ich das Gefuehl, dass ich hier sehr gut die Moeglichkeit habe, mich als Fruehfoerderin auszuprobieren und viel (von mir, den Kindern und den Eltern) zu lernen.

Bezueglich Freizeitgruppen:
Mittlerweile habe ich 3 Freizeitgruppen ins Leben gerufen (schrieb ich wahrscheinlich bereits?), mit denen ich spiele, singe, bastel, knuepfe, webe, male, lese, etc. etc. Insgesamt eine sehr schene Arbeit soweit. Die Kinder kommen jede Woche begeistert und wenn die ca. 2 Std. Beendet sind, wollen sie nicht nach Hause gehen… Das Problem dieser Freizeitgruppen ist nur, dass ich bilang nicht einen zuverlaessigen Helfer (ich verzichte darauf, die weibliche Form jeweils mitzunennen…und bitte den Leser instendig, die Muehe aufzubringen, sich dei weibliche Form dazuzudenken…) gefunden habe, der mich momentan unterstuetzt und dann nach meiner Abreise die Gruppen, oder auch nur eine Gruppe weiterfuehrt. Ich habe wirklich bereits alles moegliche versucht und missioniere fleissig vor mich hin… Aber das Problem ist, dass es leider fast voellig unueblich ist ehrenamtliche Taetigkeiten zu verrichten. Wenn ich die Helfer bezahlen wuerde, liessen sich schnell welche finden, – nur ohne Geld ist das Engagement sehr bescheiden. Diese Sache beunruhigt mich wirklich sehr, denn ich wuerde es einfach zu schade finden, dass es sich in einem Dorf, wo es eine so hohe Rate an nichtarbeitenden Menschen und aufmerksamkeitsbeduerftigen Kindern gibt, nicht 2 Personen finden lassen, die sich fuer 2 Std. in der Woche mit netten, huebchen und schlecht erzogenen Kindern vergnuegen moechten. Meine groesste Herausforderung ist es daher momentan nicht die Hoffnung zu verlieren und es den vielen Menschen, die bereits schon zur Freizeitgruppe gekommen sind und auch nachher gesagt haben, dass sie auf jeden Fall wiederkommen wollen und Spass an der Arbeit haben, nicht krumm zu nehmen, dass sie eben nicht mehr wiederkommen. Was sie daran hindert regelmaessig zu kommen ist nach meiner Einschaetzung ihre starke Abneigung gegenueber allem, was mit Zuverlaessigkeit und Verpflichtung zusammenhaengt. Mal zu kommen und zu schauen, was die gringa so treibt ist ja eine Sache – aber fuer eine Sache (und dann auch noch ehrenamtlich!) einzustehen, ist eine andere Sache.
(Nochmal Mentalitaet) Fuer diese Egenschaft ihrer Mentalitaet begegnen mir jeden Tag viele, viele Beispiele. Gestern (am Mittwoch) habe ich beispielsweise bei einem Kind Foerderung machen wollen – und fand die Familie um halb elf nch hlb im Bett oder im Schlafanzug vor. Der Grund dafuer war, dass sie am Abend vorher einen Geburtstag gefiert haben und erst um 3.00 im Bett waren. Da ist es natuerlich klar, dass die Kinder auch nicht zur Schule muessen/koennen… und nein, auch Juan, das Kind mit dem ich arbeiten wollte, war natuerlich noch nicht gewaschen und gefruehstueckt, o dass es diese Woche mit der Foerdeung ja nichts werden kann…
Zum Verzweifeln manchmal… Es ist einfach so schade, dass sich de Menschen selber durch diese Einstellung zum Leben so viele Moeglichkeiten nehmen.
Win anderes Beispiel: Fast jede Woche faellt ein Tag Schule aus, weil die Lehrer irgendeine Besprechung haben… Nicht, dass die Besprechung am nachmittag gemacht werden koennte (die Schule ist bereits um 13.00 beendet)… Ja, manchmal ist dies wirklich zum Verzweifeln!

Bezueglich anderer Aktivitaeten:
Was mich momentan am meisten beschaeftigt und einspannt ist die Konzertvorbereitung fuer das Weihnachtskonzert (am 19.12.), welches ich gerade parallel zu allem anderen vorbereite. Das Konzert soll so ablaufen, dass alle im Dorf eingeladen werden und im Programm die Menschen des Dorfes auftreten werden, die bereit sind, eine kleine Darbietung zu machen. Beispielsweise werden einige Kinder ein Wiehnachtsstueck auf der Floete spielen, mein 15-jaehriger Nachbar wird auf dem Keybord spielen, der Opa einer Arbeitskollegin wird ein Stueck auf der Gitarre spielen, ein 12-jaehriger Junge wird ein Gedicht vortragen, eine Cousine meiner nachbarsfamilie wird eine kindgerechte Weihnachtsgeschichte vortragen, einige Kinder werden das Krippenspiel spielen (dazu spaeter mehr), mit Miriam und Beate werde ich 3 3-stimmige deutsche Weihnachtslieder singen, es wird eine Tombola geben und alle zusammen werden wir 4 bekannte, ecuadoriansiche Weihnachtslieder singen. Neben all dem, was so dazugehoert (das Rekrutieren von auftretenen Personen und vor allem die Sicherstellung, das diese sich auch wirklich auf ihren Auftritt vorbereiten…, Gesangproben mit Beate und Miriam, Dekoration machen, Herstellung von Tombalogeschenken (wie Froebelsterne und selbstgemachte Ketten und Armbaender), das Erstellen, Drucken und Aufhaengen der Plakate, Keksherstellung, das Erstellen der Hand- und Liederzettel, etc. etc. etc.) probe ich noch jeden Abend mit ca. 12 Kindern das Krippenspiel. Ich bin zwar nur die Co-Regisseurin… aber habe doch viel zu tun.. und vor allem fallen die freien Abenden dadurch momentan weg… Aber die Arbeit mit den Theaterkindern ist auch sehr spannend. Nach den ersten beiden Proben war ich fast davon ueberzeugt, dass wir es nicht schaffen wuerden innerhaob von 2,5 Wochen ein 4 Seiten-langes Theaterstueck einstudieren zu koennen. Die im Durchschnitt 12-jaehrigen Kinder haben grosse Probleme ihren Text ueberhaupt zu lesen und zu verstehen. Zudem war der Probenraum so unguenstig (ein kleiner, zur Strasse offener Raum einer Familie, der direkt an einer recht belebten Strasse gelegen war), dass es aufgrund der Lautstaerke und der staendig von draussen reinkommenden Kindern kaum moeglich war, fuer eine Minute ungestoert zu proben. Die Kinder waren natuerlich dementsprechend unaufmerksam und abgelenkt. Da ungluecklicherweise der Opa von der Haelfte der Kinder (sie sind ebenfalls fast alle miteinander verwandt) vor 3 Tagen gestorben ist, konnten wir in diesen vergangenen Tagen nicht weiterproben… so bin ich gespannt, ob heute wieder eine Probe stattfinden kann, – was dringend noetig waere… denn das konzert ist schon in 6 Tagen!

Radiuserweiterung:
Was auch sehr schoen ist, ist, dass ich mittlerweile schon viele Freundschaften im Dorf und auch in anderen Doerfern habe. Heute war ich z.B. zu Gast in einem Kinderheim, in das ich von Sonja mitgenommen wurde. Sonja ist eine ehrenamtliche Helferin in einer kirchlichen Organisation, die ich durch Zufall kennengelernt habe. In dem Kinderheim habe ich widerum eine Nonne kennengelernt, die mich in eine andere Einrichtung eingeladen hat, welche ich am Freitag besuchen werde. Mal schauen, wen ich dann da wieder kennenlerne… Auf diesem Wege lerne ich auch noch ein bisschen mehr aus der Umgebung kennen, was sehr spannend ist,… denn auf die Dauer ist die kleine San-Pedro/Cerleco-Welt doch auch ziemlich klein…
Ich unternehme auch fleissig jeden Sonntag einen Ausflug und lerne so immer mehr von der Umgebung kennen.

In der Hoffnung, dass es Euch gut geht und ihr fleissig Adventskaffeekraenzchen abhaltet und die vorweihnachtliche Zeit in besinnlicher Eintracht geniesst, …(und auch mal wieder, oder ueberhaupt… einen kleinen Lebensgruss ueber den Atlantik an den Pazifik schickt…) sende ich Euch herzliche Gruesse!

Eure Gynna

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1 Kommentar

  1. Philine

    In der Taz zum Wochenende vor Silvester ist ein Ecuador-Reise-Dossier:
    http://www.taz.de/4/reise/reise-aktuell/artikelseite/1/-80f217be06/?src=SE&cHash=43bb75cba5
    http://www.taz.de/4/reise/reise-aktuell/artikelseite/1/im-zeichen-der-jungfrau/?src=SE&cHash=abe97e104c
    ich hoffe, die links funktionieren noch ein weilchen 😉 ansonsten googlen: taz, ecuador